Schuldfrage bei Unfällen: Das steckt hinter dem Anscheinsbeweis

Wer seine Unschuld beweisen muss, wenn es kracht

Ob Auffahrunfall, falsches Abbiegen oder unzulässiges Rückwärtsfahren: Im Straßenverkehr kommt es schnell zu Missverständnissen über die Schuldfrage. Um solche Streitigkeiten schneller klären zu können, stützt sich das Verkehrsrecht oft auf eine einfache Regel, den sogenannten Anscheinsbeweis. Damit ist gemeint, dass Gerichte bei typischen Unfallkonstellationen davon ausgehen, wer vermutlich verantwortlich ist, ohne dass dies konkret bewiesen werden muss.

Anscheinsbeweis

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Der Anscheinsbeweis im Verkehrsrecht

Was ist der Anscheinsbeweis im deutschen Verkehrsrecht?
Eine gerichtliche Vermutung, wie ein Unfall wahrscheinlich abgelaufen ist, die ohne direkten Beweis gilt.

Beim Anscheinsbeweis handelt es sich um einen juristischen Fachbegriff. Eigentlich ist damit kein Beweis an sich gemeint, sondern eine Methode, mit der die Beweisführung erleichtert wird. So gehen Gerichte bei bestimmten, typischen Unfallszenarien ohne direkten Beleg davon aus, wie er wahrscheinlich abgelaufen ist. Wer gegen diese Vermutung spricht, muss das Gegenteil beweisen.

Typische Fälle aus dem Straßenverkehr

Bei welchen Unfallszenarien wird der Anscheinsbeweis üblicherweise angeführt?
Auffahrunfall, Rückwärtsfahren, Spurwechsel, Abkommen von der Fahrbahn, Abbiegen.

In der Praxis gibt es einige Unfallsituationen, bei denen diese Vermutung besonders häufig angewendet wird. Die folgenden Fälle zeigen typische Beispiele, bei denen der Anscheinsbeweis zum Tragen kommt und die Beweislast zugunsten einer bestimmten Annahme verteilt wird.

  • Auffahrunfall: Fährt ein Fahrzeug auf ein vorausfahrendes Auto auf, vermutet das Gericht meist, dass der Auffahrende den Sicherheitsabstand nicht eingehalten, zu schnell gefahren oder unaufmerksam war. Diese Annahme erleichtert die Beweisführung, ohne dass der genaue Unfallhergang erst mühsam rekonstruiert werden muss.
  • Rückwärtsfahren: Wer beim Rückwärtsfahren einen Unfall verursacht, trägt oft die Schuld. Denn es wird in der Regel angenommen, dass er nicht sorgfältig genug geprüft hat, ob hinter dem Fahrzeug alles frei ist. Ein klassischer Fall, bei dem man schnell übersehen wird. Das Gericht vermutet dann oft mangelnde Vorsicht.
  • Spurwechsel: Gerade beim Spurwechsel passieren viele Unfälle. Wenn es dabei oder kurz danach kracht, wird häufig vermutet, dass der Spurwechsler nicht richtig auf den nachfolgenden Verkehr geachtet hat. Diese Annahme basiert auf der Lebenserfahrung, dass ein sicherer Spurwechsel Sorgfalt erfordert.
  • Abkommen von der Fahrbahn: Kommt ein Fahrzeug ohne ersichtlichen äußeren Grund wie Glatteis von der Fahrbahn ab, liegt der Verdacht nahe, dass der Fahrer zu schnell oder unaufmerksam war. Hier nehmen Gerichte häufig an, dass das Fahrverhalten die Ursache ist. Die Erklärungsnot liegt beim Fahrer.
  • Abbiegen: Beim Abbiegen passieren Unfälle häufig, weil der Fahrer den Gegenverkehr oder Fußgänger nicht richtig wahrnimmt. In solchen Fällen gehen Gerichte oft davon aus, dass der Abbieger seine Sorgfaltspflicht verletzt hat und nicht ausreichend aufmerksam war.

Wenn der Anscheinsbeweis nicht greift: atypische Unfallsituationen

Gilt der Anscheinsbeweis immer?
Nein, er gilt nur bei typischen Unfallsituationen und kann durch den Nachweis eines abweichenden Unfallhergangs entkräftet werden.

Dennoch ist der Anscheinsbeweis nicht unumstößlich und grundsätzlich widerlegbar. Dafür muss die betroffene Person beweisen, dass der Unfall anders ablief als angenommen, also atypisch war.

So könnte beispielsweise bei einem Auffahrunfall aufgezeigt werden, dass der Vordermann ohne ersichtlichen Grund plötzlich und stark gebremst hat. Beim Rückwärtsfahren könnte der Rückwärtsfahrende darlegen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer absichtlich in den rückwärtigen Bereich gefahren ist, um den Unfall zu provozieren.

Beim Spurwechsel wäre es denkbar, dass der Fahrer nachweist, die Gegenseite habe ihn absichtlich abgedrängt oder durch Beschleunigen eine Kollision provoziert.

Wichtige Beweismittel zur Widerlegung

Welche Beweismittel können zur Widerlegung angeführt werden?
Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten und Dashcam-Aufnahmen.

Zur Widerlegung sind vor allem Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten oder Dashcam-Aufnahmen entscheidend, da sie den Unfallhergang genauer belegen können. Wird der Anscheinsbeweis dadurch entkräftet, muss die Schuldfrage anschließend erneut geprüft werden.

Quellen: 24auto.de, adac.de, haufe.de

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